Die Aufregung war groß, und der Sturm im Blätterwald und in den digitalen Kanälen vieler Medien ist – Stand heute – bisher nicht abgeflaut. „Die Welt“, eine überregionale deutsche Tageszeitung der Axel Springer SE, die dem bürgerlich-konservativen Spektrum zugerechnet wird, hat einen Gastbeitrag des Milliardärs und X-Chefs Elon Musk abgedruckt, der als Wahlwerbung für die AfD verstanden werden kann. Musk schrieb einen wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenbruch Deutschlands herbei und bezeichnete die AfD als den letzten „Funken Hoffnung für dieses Land“. Auch sei die Partei eindeutig nicht rechtsextrem.
Das ist natürlich absoluter Mumpitz. Die AfD ist ganz sicher keine Alternative für Deutschland (hier nachzulesen), auch wenn sie diese Behauptung im Namen trägt.
Aber hier soll es um etwas anderes gehen, nämlich um die erwähnte Aufregung, die der Gastbeitrag verursacht hat.
Das Grundgesetz garantiert die Freiheit der Meinung. Das ist sicher den meisten Deutschen bekannt. Weniger bekannt sind die Einzelrechte und Einschränkungen, die sich aus der Rechtsprechung des BVerfG ergeben.
Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
Artikel 5, Absatz 1, GG
So leitet sich auch der Tendenzschutz in Pressebetrieben aus dem Grundrecht der Meinungsfreiheit ab.
Da die Pressefreiheit ein elementarer Bestandteil der Meinungsfreiheit ist, schützt sie die redaktionelle Freiheit der Medienunternehmen, ihre Inhalte gemäß ihrer eigenen politischen und inhaltlichen Ausrichtung zu gestalten. Der Tendenzschutz gibt den Verlegern das Recht, die politische Richtung ihrer Medien festzulegen und sicherzustellen, dass die produzierten Inhalte dieser Ausrichtung entsprechen. Dadurch wird vermieden, dass äußere oder interne Einflüsse, wie betriebliche Mitbestimmung, die redaktionelle Freiheit und die Ausrichtung des Mediums beeinträchtigen.
Dies bedeutet, dass die Meinungsfreiheit nicht nur das individuelle Recht auf freie Meinungsäußerung umfasst, sondern auch die institutionelle Freiheit der Medien, ihre redaktionelle Linie unabhängig von staatlichen Eingriffen und betrieblicher Mitbestimmung zu bestimmen und durchzusetzen.
Die Redaktion der „Welt“ hatte also kaum eine Chance, den Abdruck zu verhindern. Zumal die aktuelle Chefredaktion offensichtlich hinter der Entscheidung steht, mag sie, wie spekuliert wird, ursprünglich auch von Mathias Oliver Christian Döpfner, seit 2002 Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE, getroffen worden sein.
Der künftige Chefredakteur Jan Philipp Burgard entlarvte in einer eindrucksvollen Erwiderung Musks Ansichten über die AfD als „fatal falsch“. Eine Partei mit dem Programm der AfD könne weder die wirtschaftlichen Probleme des Landes lösen noch die offenkundigen Verfehlungen in der Asyl- und Migrationspolitik der vergangenen Jahre korrigieren, sschrieb Burgard und betonte die Gefahr, die die von der AfD für die demokratischen Werte der Bundesrepublik ausgeht. Das reichte der Redaktion, oder zumindest einigen Mitgliedern, wohl nicht: Eva Marie Kogel, Meinungs-Chefin der „Welt“ hat ihre Stelle gekündigt, laut dem Branchenportal „Medieninsider“ hat auch Chefreporter Hans Martin Tillack hingeworfen.
Rechtlich ist also gegen den Abdruck nicht viel einzuwenden, moralisch und journalistisch aber schon. Die AfD ist eben keine Partei wie jede andere, so wie Musk kein Mensch wie jeder andere ist. Der Gastbeitrag, mag ihn Musk selbst oder auch eine KI geschrieben haben, ist ein unverblümter Wahlaufruf für eine zumindest rechtspopulistische Partei und damit aus meiner Sicht ein schwerwiegender journalistischer Fehler.
Natürlich haben auch Milliardäre ein Recht auf eine eigene Meinung. Und unendlich viel mehr Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen, als Otto-Normalbürger. Musks nutzt sein soziales Netzwerk X unverhohlen dafür, rechtes Gedankengut und krude Verschwörungsmythen zu verbreiten. Das hat ihm wohl einen Job unter dem künftigen US-Präsidenten Donald Trump eingebracht, der es ihm erlaubt, die politischen Rahmenbedingungen für seine wirtschaftlichen Interessen selbst mitzugestalten. Jetzt mischt er sich auch in die deutsche Politik ein, diffamiert hemdsärmelig Bundeskanzler und Bundespräsidenten. Offensichtlich in dem Bemühen, eine Partei an die Macht zu bringen, die seinen Interessen mehr dient, als die bislang regierenden Gruppierungen.
Diesem Mann ohne Not ein Podium zu geben, wie es die Zeitung „Die Welt“ getan hat, ist falsch. An einer echten Debatte scheint Musk nicht interessiert, sonst hätte er sich nicht ausgerechnet AfD-Chefin Alice Weidel als Gesprächspartnerin für ein Vier-Augen-Gespräch auf X auserkoren. Im Nachhinein kann man nur hoffen, dass möglichst viele Menschen zugehört haben. Frau Weidel durfte steile Thesen zu Bildungspolitik, Steuerquote, Migration und Internet-Regulierung verbreiten, ungeprüft, unwidersprochen und ohne Belege. Schon eine schnelle Internetrecherche reichte, um Aussagen zu widerlegen oder andere als die zitierten Zahlen zu finden. Das hielt Musk nicht davon ab, ihr immer wieder seine Zustimmung zu signalisieren. Richtiggehend skurril wurde das Gespräch, als Weidel Adolf Hitler als Kommunisten/Sozialisten bezeichnete. Eine in rechten Kreisen immer wieder erhobene Behauptung, die mit Blick auf die Opfer des NS-Regimes politisch irreführend und unangebracht ist. Tatsächlich hat das Hitler-Regime auch zigtausende Kommunisten, Sozialisten und Gewerkschaftler verfolgt und ermordet.
Den Versuch, Hass und Fake News im Internet mit Faktenchecks und die Moderation durch Dritte einzudämmen, nannte Weidel eine Einschränkung der Meinungsfreiheit und rückte ihn in die Nähe der Medienkontrolle durch Diktatoren wie Hitler. Den Umstand, dass Faktenchecker Meinung nicht unterdrückt, sondern lediglich Fake News durch ihre Kommentare gerade rücken, hielt sie keiner Erwähnung für wert.
Wie nicht anders erwartet haben klassische Medien viele Aussagen aufgegriffen, einige haben es sogar in die Schlagzeilen geschafft. Auch dabei sind handwerkliche Fehler passiert und der Quote wegen Titel entstanden, die man als Zustimmung für die AfD-Standpunkte lesen könnte. Provokationen, die in der Regel vom Text hinter den Schlagzeilen richtig eingeordnet wurden. Aber nicht jeder liest den Text … leider. Mehr Aufmerksamkeit kann sich die AfD-Chefin nicht einmal kaufen, wenn sie Zugriff auf die Musk-Milliarden hätte.
Was wir daraus lernen sollten? Wir dürfen nicht die inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD scheuen, sondern müssen sie suchen. Tatsachenbehauptungen und Quellen sollten hinterfragt, Lügen widerlegt werden. Das können engagierte Moderatoren und auch die klassischen Medien leisten. Nur so kann es gelingen, den Mythos AfD zu entzaubern und zu beweisen, dass gerade diese Partei eben nicht in der Lage ist, die vielfältigen Probleme Deutschlands zu lösen.
Wenig hilfreich finde ich die Diskussion um Weidels Englischkenntnisse. Die mutet kleinlich an, angesichts der diesbezüglichen Fähigkeiten anderer deutschen Politiker.
P. S. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki verteidigt den Online-Talk als Ausdruck der Meinungsfreiheit. Beim Blankeneser Neujahrsempfang in Hamburg betonte der FDP-Politiker, dass Meinungsfreiheit den Austausch von Meinungen erfordert. Kubicki kritisierte, dass 150 EU-Beamte die Diskussion zwischen Musk und Weidel beobachten sollten, und sieht darin ein Demokratieproblem. Er betonte, dass es nicht die Aufgabe des Staates sei, Diskussionen zu überwachen, solange sie legal sind. Er stellte klar, dass er nichts mit der AfD zu tun habe, aber auch die AfD-Wähler Teil des Landes seien und nicht ausgegrenzt werden dürften. Kubicki warnte, dass ein Großteil der Deutschen glaubt, ihre Meinung nicht mehr frei äußern zu können, was ein Demokratieproblem darstelle. Dem stimme ich zu.