Freiheit und Sicherheit – EuGH-Urteil

Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.

Benjamin Franklin

Das oberste EU-Gericht hat entschieden und der Speicherung von Telekommunikationsdaten zur Aufklärung von Straftaten in Deutschland enge Grenzen gesetzt. In einem Urteil erklärte der Europäische Gerichtshof (EuGH), die seit 2017 ausgesetzte deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung sei mit EU-Recht unvereinbar.

Kommunikationsdaten der Bürger dürfen danach nicht ohne Anlass gespeichert werden, höchstens   gezielt und zeitlich begrenzt und auch nur, um eine ernste Bedrohung der nationalen Sicherheit abzuwenden. Erlaubt ist den Sicherheitsbehörden allenfalls eine Vorratsspeicherung der IP-Adressen zur Bekämpfung schwerer Kriminalität. Ferner gestatte das Urteil gezielte Anordnungen zum Speichern für Orte wie Flughäfen, Bahnhöfe oder für Gegenden mit hoher Kriminalitätsbelastung.

Einmal mehr hat sich die Justiz als Anwalt der Freiheitsrechte des Bürgers erwiesen. Freiheitsrechte, die von Regierungen unterschiedlicher Couleur allzu leichtfertig eingeschränkt werden.

Die in Rede stehenden Daten sind gefährlich. Sie ermöglichen Bewegungsprofile, lassen Rückschlüsse auf politische, gesundheitliche, sexuelle und gesellschaftliche Aktivitäten / Probleme / Vorlieben zu.

Deutschland ist (noch) ein demokratischer Rechtsstaat und die Besorgnis, dass unsere Daten missbraucht werden, erscheint auf den ersten Blick übertrieben. Die Erfahrung lehrt aber, dass Daten, die gesammelt werden, in der Regel auch genutzt werden: Hacker verschaffen sich Zugriff, Wirtschaftsunternehmen sind bereit, viel Geld dafür auf den Tisch zu legen und schließlich gibt es auch immer wieder Beispiele dafür, dass die Behörden selbst die ihnen gesteckten Grenzen überschreiten und Daten unerlaubt verwenden. Manchmal sogar in „guter“ Absicht: Wenn die Polizei auf Kontaktdaten zugreift, die im Kontext der Bekämpfung der Corona-Pandemie gesammelt worden sind, um minder schweren Vergehen auf die Spur zu kommen, diskreditiert das den eigentlichen Zweck, zerstört Vertrauen und schadet der Vorsorge gegen das Virus.

Schon im Papierzeitalter sind Daten missbraucht worden, wahrscheinlich auch bereits, als sie noch auf Steintafeln oder Papyrusrollen aufgeschrieben wurden. Wenn wir uns hauptsächlich um digitale Daten sorgen, liegt das nicht daran, dass diese a priori gefährlich sind, sondern daran, dass sie einfach auszuwerten, schneller zusammenzuführen und leichter zu durchsuchen sind.

Einmal in der Welt, verlieren wir schnell die Kontrolle über Daten: Die Nationalsozialisten konnten auf Meldedaten zugreifen, die in der Weimarer Republik unter ganz anderen Voraussetzungen gesammelt wurden, der DDR-Staat hat das fortgeführt und auch in Amerika hat niemand geahnt, was in der McCarthy Ära der frühen 1950er Jahre  der Vereinigten Staaten mit den zuvor gesammelten Daten getrieben wurde, als antikommunistische Verschwörungstheorien und Denunziationen das politische Klima in den USA vergifteten. Eine Legislatur beäugte die freie Welt besorgt die Kapriolen der Trump-Administration…

Wir brauchen nicht auf historische Beispiele zurückzugreifen; in China hat die kommunistische Partei die Zügel angezogen, Minderheiten werden verfolgt, in Hongkong entgegen bestehenden Zusagen Freiheitsrechte ausgehöhlt. Russland beugt sich (willig?) unter der Knute der Putin-Diktatur. Italien hat rechts gewählt; als wenn sie es nicht besser wüssten … Die AfD ist in Deutschland wieder auf dem Vormarsch – und wir müssten es wirklich besser wissen (und machen).

Wenn also ein Kollege sagt, er habe nichts zu verbergen und deshalb auch nicht dagegen, ausgespäht zu werden, mag das heute gelten, aber morgen mag man schon verfolgt werden, weil man Christ ist, Fleisch ist, liberal oder hetero …

Ganz davon abgesehen, dass man von einem sozial verantwortungsbewussten Demokraten auch erwarten darf, dass er für die eintritt, die das nicht selbst können, weil es ihnen an Macht, Geld oder Wissen fehlt. Und schließlich sogar für die, die anderer Meinung sind. Frei nach Voltaire: „Ich werde Ihre Meinung bis an mein Lebensende bekämpfen, aber ich werde mich mit allen Kräften dafür einsetzen, dass Sie sie haben und aussprechen dürfen.“ (Historische Zitat, insbesondere aus Fremdsprachen, werden nicht immer im Wortlaut identisch transportiert)

Westliche, europäische, freiheitliche Weltanschauungen – es lohnt sich, um sie zu kämpfen. In der Ukraine, in Russland. China, den USA, Italien und in Deutschland. Freiheitsrechte sind Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben in diesem Sinne. Sie leichtfertig einzuschränken, ist ein Verbrechen. Gerade auch in Zeiten, in denen die Gruppe der Staaten, die diese Werte teilt, immer kleiner wird.

Natürlich kann keine zwei Meinungen darüber geben, dass Kinder besonderen Schutz in unserer Gesellschaft bedürfen, dass sexuelle Gewalt ein Kapitalverbrechen ist, das man mit allen geeigneten Mitteln bekämpfen muss. Aber nicht um den Preis, die Freiheitsrecht so einzuschränken, dass am Ende die Gesellschaft nicht mehr die ist, in der unsere Kinder leben und aufwachsen wollen.

Alle Menschen einsperren und nur zum Arbeiten hinauslassen: Mancher Innenminister wäre begeistert… Kontrolle über Menschen auszuüben, manchmal sogar in bester Absicht, kann verhängnisvolle Folgen haben. Gerade auch, wenn der Kontrolleur von einer vermeidlich „guten“ Ideologie getrieben wird, sein Handeln mit Gefahrenabwehr rechtfertigt. 1932 ist, zunächst auf Englisch, unter dem Titel „Brave New World“ eine negative Utopie erschienen, die uns zu Recht heute noch Angst macht. Wenn die Kontrolleure in den Kopf drängen und nicht nur den Körper knüppeln, ist – in bester Borg-Tradition, Widerstand vielleicht wirklich zwecklos. Wenn Aldous Huxley die Möglichkeiten der Überwachung des Internets und der sozialen Medien (denen wir so bereitwillig auch privates anvertrauen), Videokameras mit Gesichtserkennung und Bewegungsprofilen mittels Handy-Tracking gekannt hätte, hätte er die Menschheit vielleicht schon früher und nicht erst im Jahr 2540 abgeschrieben.

Wir sollten unsere Freiheit also nicht allzu leichtfertig aufgeben. Auch wenn die Kontrolleure heute noch „richtig“ ticken, kann das morgen schon anders sein. Und ich erspare es Ihnen und mir, erneut auf die Missbrauchsmöglichkeiten für große Datensammlungen auch ohne böse Absicht hinzuweisen. So wie wir unseren Kindern Schutz schuldig sind, sind wir es ihnen schuldig, die Gesellschaft lebenswert zu erhalten.

Statt daraufzusetzen, dass Vater Staat es schon richten wird, müssen wir wieder Verantwortung für unsere Leben übernehmen. Kinder müssen lernen „nein“ zu sagen, wir müssen sie auf ihre ersten Schritte im Internet begleiten, ihnen Gefahren aufzeigen und Strategien vermitteln, wie sie damit umgehen. Wir müssen ihnen Grenzen setzen, den Erziehungsauftrag im Sinnen dieser Gesellschaft und unserer aller Zukunft ernst nehmen und sie befähigen, über unsere Grenzen hinauszuwachsen … Statt ein Volk zu überwachen, Millionen Unschuldige unter Generalverdacht zu stellen und ihre Freiheitsrechte unangemessen in Gefahr zu bringen, sollten wir unsere Kinder stärken. Und schließlich müssen wir die Augen öffnen, auch wenn es bequemer wäre, sie zu schließen. Kinderärzte und Lehrer, Eltern und Verwandte, Freunde und Kollegen. Pädophile kriechen nicht aus Löchern, sie sind Teil der Gemeinschaft, aber sie verdienen weder Schutz noch Schonung.

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