Wir können über alles reden. Das ist in Deutschland unser verbrieftes Recht. Das Grundgesetz regelt in Artikel 5:
„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“
Absatz 2 schränkt ein:
„Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und dem Recht der persönlichen Ehre.“
Wir können also über alles reden, aber nicht so, wie es uns gefällt. Es gibt eine ganze Reihe von Gesetzen, die uns in der Art und Weise einschränken, wie wir über Dinge diskutieren. Wir sollten es zivilisiert tun, so würde ich es kurz zusammenfassen. Aber das reicht natürlich nicht, um die zu mäßigen, die der Meinungsfreiheit das Wort reden, dabei doch nur Hass säen wollen, pöbeln, diskriminieren oder beleidigen. Also haben Politiker die Regeln für einen zivilisierten Umgang miteinander in Gesetze gegossen und mit Strafandrohungen für diejenigen versehen, die den Korridor für Meinungsäußerungen verlassen, den der Anstand uns vorgeben sollte.
Da ist zum Beispiel der Straftatbestand der Beleidigung. Im Paragraf 185 StGB (Strafgesetzbuch), wird dieser Tatbestand ausgeführt. Der Paragraf schützt die Ehre einer Person. Eine Beleidigung ist in diesem Sinne die Kundgabe von Missachtung und kann mündlich, schriftlich, durch Gesten oder Taten erfolgen. Die Strafe für eine einfache Beleidigung ist eine Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr. Bei qualifizierten Fällen, zum Beispiel öffentlich und durch Tätlichkeit, droht sogar eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren.
Weiter gibt es den Paragrafen 187, der die Verleumdung regelt. „Wer wider besseres Wissen in Beziehung auf einen anderen eine unwahre Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen oder dessen Kredit zu gefährden geeignet ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren oder mit Geldstrafe und wenn die Tat öffentlich in einer Versammlung oder durch Verbreitung eines Inhaltes begangen ist, mit Freiheitsstrafe von bis zu 5 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
Deutschland ist eine Hochburg der Bürokratie, es würde also niemanden wundern, wenn Beamten eine Extrawurst gebraten wird. „Beamtenbeleidigung“ wird in diesem Zusammenhang am Stammtisch kolportiert, ist allerdings im Sinne des StGB kein eigener Tatbestand und wird nicht anders bestraft als die Beleidigung eines nicht verbeamteten Mitbürgers. Einen Unterschied gibt es, ob eine gewöhnliche Person oder ein Beamter oder eine Beamtin beleidigt wurde: Im ersten Fall kann eine Beleidigung nur dann strafrechtlich verfolgt werden, wenn die beleidigte Person einen Strafantrag stellt. Handelt es sich jedoch um einen Amtsträger, kann auch der Dienstvorgesetzte (§ 194 Absatz 3 StGB) die Strafverfolgung beantragen.
„Üble Nachrede“ wird im Paragrafen 186, geregelt, der eine Freiheitsstrafe von bis zu 5 Jahren vorsieht für jemanden, der eine nicht beweisbare, aber ehrverletzende Tatsache über eine andere Person behauptet oder verbreitet, die geeignet ist, den Ruf dieser Person herabzuwürdigen. Sie ist strafbar, sobald die Behauptung für Dritte wahrnehmbar ist, also auch online oder über Bewertungsportale. Die Strafe kann eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe sein.
Das sind eine Menge Paragrafen, die den Behörden aus meiner Sicht die notwendigen und auch hinreichend viele Instrumente in die Hand geben, um den Minimal-Anspruch an Anstand im Miteinander zu erzwingen.
Blöd nur, dass eine Mehrheit im Parlament diese Meinung nicht teilt und uns mit der Frage konfrontiert: Ist die Ehre von Politikern mehr wert oder schützenswerter als meine oder ihre/eure?
Politiker sehen sich stärker bedroht als der Normalbürger und heben sich deshalb den Paragrafen 188 in das Strafgesetzbuch geschrieben. Die Beleidigung von Politikern ist danach strafbar, wenn sie öffentlich erfolgt, mit der politischen Stellung des Betroffenen zusammenhängt und das öffentliche Wirken erheblich erschwert. Die Strafen sind höher als bei der Beleidigung normaler Bürger. Im Gesetz heißt es:
„Wird gegen eine im politischen Leben des Volkes stehende Person öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) eine Beleidigung (§ 185) aus Beweggründen begangen, die mit der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen, und ist die Tat geeignet, sein öffentliches Wirken erheblich zu erschweren, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. Das politische Leben des Volkes reicht bis hin zur kommunalen Ebene.
Unter den gleichen Voraussetzungen wird eine üble Nachrede (§ 186) mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren und eine Verleumdung (§ 187) mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“
Die kommunizierte Begründung für das Gesetz: der Schutz der Funktionsfähigkeit staatlicher Ämter.
Allerdings: Wer sich im politischen Bereich engagiert, muss mit Kritik umgehen und am Ende auch leben können. Demokratie kann nur dann funktionieren, wenn sich Bürger ohne Furcht vor Strafverfolgung über die Verhältnisse äußern könne. Nicht umsonst genießt Machtkritik in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einen hohen Schutz.
Dazu steht der Paragraf 188 StGB im Widerspruch, schon allein dadurch, dass er einen erhöhten Strafrahmen für Bürger vorsieht, die die Grenze der zulässigen Machtkritik hin zu Beleidigung, Verleumdung und übler Nachrede überschreiten.
In meinen Augen zeichnet sich schon durch die vermehrte Einleitung von Strafermittlungsverfahren wegen der Äußerung von Machtkritik ab, dass regierungskritische Bürger verunsichert werden (sollen) und fürchten müssen, ins Visier der Strafverfolgungsbehörden zu geraten. Bereits die Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen ist für viele Betroffene eine erhebliche psychische und manchmal auch finanzielle Belastung. Egal, wie es am Ende ausgeht, in einem solchen Verfahren ist es oft ratsam, frühzeitig einen Anwalt einzuschalten, der Akteneinsicht fordern kann und die konkurrierenden Rechtsgüter im Blick hat.
Im Sinne der Demokratie wenig hilfreich ist zudem das Vorgehen der Staatsanwaltschaften und der Polizei. In guter Erinnerung geblieben ist noch die „Schwachkopf-Affäre “: Ein Rentner hat wegen seines gegen den damaligen Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck gerichteten beleidigenden Social-Media-Beitrags Besuch von der Polizei bekommen. Hausdurchsuchungen aufgrund von Ermittlungen wegen Beleidigung? Das ist unverhältnismäßig und dient schlimmstenfalls dazu, meinungsfreudige Bürger einzuschüchtern. Das ist eine größere Gefahr für die Demokratie, als ein einzelner Hater im Netz jemals sein könnte.
Natürlich müssen (und sollten) Politiker Schmähkritik nicht dulden. Das sind Äußerungen, bei der nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, und die Meinungsäußerung geeignet ist, die Person herabzusetzen.
Ich lasse die Wikipedia zu Wort kommen: „Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) stellt wegen der besonderen Bedeutung der Meinungsfreiheit in einer Demokratie an die Einstufung einer Äußerung als Schmähkritik hohe Anforderungen. Der Schutz von Meinungsäußerungen, die sich als Schmähung Dritter darstellen, tritt hinter dem Persönlichkeitsschutz zurück. Die Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) kann eine Schmähkritik rechtfertigen, wenn sie als „Recht zum Gegenschlag“ eine angemessene Reaktion dessen, der sie geäußert hat, auf das fragwürdige Verhalten des ihn Angreifenden darstellt. Ein satirischer Gesamtcharakter kann gegen die Annahme sprechen, der Angegriffene habe als Person angeprangert werden sollen.“
Einmal mehr stellt sich das Bundesverfassungsgericht schützend vor die Demokratie und ihre Werte. Das ist im Übrigen keine Kritik an Robert Habeck, der gleich mehrere hundert Anzeigen gegen Hater auf den Weg gebracht hat. Unrecht muss man (auch als Politiker) nicht hinnehmen. Allerdings sind Staatsanwaltschaft und Polizei gut beraten, mit Augenmaß und Fingerspitzengefühl vorzugehen, um den Rechtsstaat nicht zu diskreditieren. Vor Gericht erweist sich, dass die Grenze bei politischen Äußerungen zwischen zulässiger Kritik und strafbarer Beleidigung oft fließend ist.
Natürlich kann man in der politischen Auseinandersetzung auch mit wohlgesetzten Worten Menschen verletzten.
Die Volksverhetzung ist eine Straftat nach Paragraph 130 StGB, bei der jemand in einer Weise, die den öffentlichen Frieden stören kann, zum Hass gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen aufstachelt, zu Gewalt oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder deren Menschenwürde durch Beschimpfungen, böswilliges Verächtlichmachen oder Verharmlosung von Völkermorden angreift. Dies kann in schriftlicher, mündlicher oder in anderer Form erfolgen und wird ebenfalls mit Freiheitsstrafe geahndet.
Rassismus hat keinen eigenen Straftatbestand, aber rassistische Handlungen und Äußerungen können strafbar sein, insbesondere dann, wenn sie die öffentliche Ordnung stören oder Hass aufstacheln. Die strafbaren Tatbestände sind dann wiederum die Volksverhetzung, die ich ja eben schon aufgeführt habe, aber auch eine Beleidigung, in dem Fall eine rassistische Beleidigung.
Der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet zudem Diskriminierung, eine Benachteiligung oder Herabwürdigung von Gruppen oder Personen aufgrund bestimmter unterscheidender Wertvorstellungen oder bewusster oder unbewusster Einstellungen, Vorurteile oder emotionaler Assoziationen.
Viele Paragrafen, viele Definitionen. Es lohnt sich, meine Meinung noch einmal zusammenzufassen:
Wir müssen im Umgang miteinander ein gewisses Maß an Achtsamkeit pflegen. Es fällt mir schwer, den erweiterten Schutz für Politiker vor Ehrverletzungen nachzuvollziehen. Glücklicherweise gibt es eine rege Diskussion um die Abschaffung des Paragrafen oder eine Neufassung. Neue Gesetze sind nicht immer sinnvoll, oft dienen sie mehr der Profilierung von Parteien und Politikern als der Sache. Besser ist es, die Strafverfolgungsbehörden personell und materiell so auszustatten, dass die dem bestehenden Recht zeitnah Gültigkeit verschaffen können. Im Zusammenhang mit dem Paragrafen 188 allerdings glaube ich, dass es vor allen Dingen um die Art und Weise, wie die Staatsorgane damit umgehen. Eine Hausdurchsuchung, also das Eindringen in den höchst privaten und besonders geschützten Raum eines Menschen, sollte nicht nur aufgrund einer mutmaßlichen Beleidigung eines Politikers veranlasst werden.
