Auf Wohlstand verzichten – eine Streitschrift

Man kann das Richtige aus den falschen Gründen tun und das Falsche aus den richtigen Gründen. Manchmal muss man nüchtern vom Ergebnis her denken. Die „Klimakleber“ haben gute Gründe für ihre Protestaktionen, in der Wahl ihrer Mittel aber greifen sie manchmal daneben. Der Klimawandel ist greifbare Realität, kein Mensch, der sich wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht von vorneherein verschließt, kann noch ernsthaft daran zweifeln, dass wir mit zunehmendem Tempo auf eine Katastrophe zusteuern. Auf dem Spiel steht nicht mehr und nicht weniger als die Zukunft unserer Kinder und Enkel. Wir haben lange über unsere Verhältnisse gelebt und damit zukünftigen Generationen eine enorme Last aufgebürdet.

Jetzt liegt es an uns, Verantwortung dafür zu übernehmen. Auch wenn das bedeutet, auf Wohlstand zu verzichten. Ja, wir müssen harte Entscheidungen treffen, auch wenn’s wehtut. Nichtstun ist keine Option.  

Es geht aber auch nicht länger darum, Verständnis für die Länder der sogenannten Dritten Welt und ihren Hunger auf Wohlstand zu signalisieren. Genauso wenig, wie wir Schwellenländern zubilligen sollten, den Konsumrausch der 1. Welt im 20. Jahrhundert nachzuholen. Aber was können wir tun? Kopfschüttelnd und nörgelnd zusehen? Uns in unserem Überlegenheitsgefühl sonnen, weil wir es (endlich) verstanden haben und sie es noch lernen müssen?

Jeder Mensch sollte aus seinen eigenen Fehlern lernen, kluge Menschen lernen auch aus den Fehlern der anderen.

Runter vom hohen Ross heißt die Devise, vorleben, verzichten und verstehen, dass andere auf der Welt unter unseren Fehlern leiden, den Preis für die fetten Jahre, unsere fetten Jahre, bezahlen. Oft geht es andernorts um sauberes Wasser, genug und gesundes Essen, medizinische Versorgung, Sicherheit … Wären wir darüber diskutieren, auf den Zweitwagen, den Dritturlaub, unser tägliches Stück Fleisch auf dem Tisch oder Flugreisen zu verzichten.

Es ergibt also durchaus Sinn, in Sachen Umweltschutz und Ressourcensparen voranzugehen, auch wenn wir nicht im Alleingang den Karren aus dem Dreck ziehen können. Diese Tatsache sollte aber nichts als Ausrede dienen, gar nicht anzupacken und nur danebenzustehen. Das gute Beispiel, die tätige Reue, ist unser einziges Mittel, die zu motivieren, die viel mehr zu verlieren haben.

Es gibt auch Kritiker des „Voranschreitens“, die davor warnen, sich – mal wieder – zum Lehrmeister der Nationen aufzuschwingen. Am deutschen Wesen mag die Welt genesen, ist ein politisches Schlagwort, welches laut Wikipedia auf Emanuel Geibels Gedicht „Deutschlands Beruf von 1861“ zurückgeht. Es wird gern mit einem ironischen Unterton zitiert und in einen negativen Zusammenhang gerückt, um das „Schulmeisterliche“ im Charakter des Deutschen zu betonen, das angeblich anderen Nationen angesichts unserer schuldvollen Geschichte zu wider und unserem Ansehen abträglich ist. Dabei ist das Gedicht nicht wirklich „böse“: Geibel setzt sich darin für die Einheit Deutschlands ein und ruft die Einzelstaaten zur Einigung unter einem deutschen Kaiser auf, dem seit 1861 als König von Preußen regierenden Wilhelm I.

Das deutsche Wesen, an dem die Welt genesen mag, ist als das geeinte deutsche Staatswesen zu verstehen, von dem eine Friedenswirkung auf das europäische Staatengefüge ausgehen werde. Das vom Gedicht abgeleitete Schlagwort „Am deutschen Wesen mag die Welt genesen“ wurde später von der politischen Führung verwendet und umgedeutet. Daher der oftmals vermutete negative Zusammenhang.

Bekennen wir uns also zum „Voranschreiten“, achten auf unseren Ton, zeigen uns demütig und nicht arrogant und profitieren davon, dass Deutschland längst und erkennbar nicht mehr so überlegen ist, wie es vielleicht einmal glaubte zu sein.

Ich bin bereit, auf Wohlstand zu verzichten. Ich bin aber nicht bereit, Demokratie und Rechtsstaat zu opfern. Auch wenn es pathetisch klingt: Lieber in Freiheit kämpfend sterben als auf Knien leben … Mag es auch richtig sein, dass der wohlmeinende Diktator die effektivste Regierungsform ist, so lehrt doch die Geschichte, dass die Demokratie die einzig nachhaltige ist. Außer natürlich, man würde mich mit der Rolle des Diktators besetzt (hier wäre ein Smiley passend).

Wenn aber die Spielregeln der Demokratie und des Rechtsstaates den Korridor für Regierungshandeln vorgeben, wird offensichtlich, dass die Regierung zur Überzeugungsarbeit verpflichtet ist. Selbst wenn eine Maßnahme als richtig erkannt ist, muss man eine Mehrheit hinter sich versammeln, sonst sind alle Erfolge flüchtig und halten bestenfalls bis zur nächsten Wahl. Und im schlimmsten Fall sind es danach nicht mehr die Demokraten, die die Regeln machen. 

Kommt es aber zum schlimmsten, geht auch die gute Sache den sprichwörtlichen Bach herunter. Womit wir wieder bei Sprichwörtern wären:

„Gut gemeint, ist nicht immer gut getan.“

Aufgabe der Politik ist es, einen Interessenausgleich herbeizuführen. Das Ergebnis ist in der Regel ein Kompromiss. Der ist nicht immer die beste Lösung, besonders dann, wenn eine Partei Recht und die andere Unrecht hat. Da in der Wirklichkeit aber selten Schwarz auf Weiß trifft, sondern Grautöne vorherrschen, geht das klar. Zumal Politiker im Sinne eines langfristig gedeihlichen Zusammenlebens gut beraten sind, es allen Parteien zu ermöglichen, den Verhandlungstisch ohne vollständigen Gesichtsverlust zu verlassen. Ein Politiker muss nicht immer ein Fachmann sein, aber immer Moderator und Kommunikator, denn das ist Kern seiner Jobbeschreibung.

Gefährlich wird es immer dann, wenn Menschen sich zum Sachverwalter der einen Wahrheit machen, der sich alle anderen Interessen unterzuordnen haben. Natürlich gelten, wenn Gefahr im Verzug ist, auch die Regeln des Rechtsstaates nichts, ist die Demokratie viel zu behäbig, um für die Problemlösung zu taugen, heißt es.

Richtig ist, dass es diese Ausnahmesituationen gibt … Die Demokratie weiß damit umzugehen und hat hohe Hürden errichten, um einen Missbrauch auszuschließen (oder zumindest schwieriger zu machen). So kann die Regierung mit Hilfe des Parlaments, wenn der Staat oder die innere Ordnung in Gefahr sind, den Ausnahmezustand ausrufen. Am 30. Mai 1968 beschloss der Bundestag nach heftigen Protesten die „Notstandsgesetze“ (Quelle der Informationen: Website der Bundeszentrale für politische Bildung).

Das Grundgesetz wurde in mehr als 20 Punkten geändert. Es unterscheidet zwischen innerem Notstand, Verteidigungsfall und Spannungsfall. Der Bundestag kann den Verteidigungsfall mit Zweidrittelmehrheit feststellen. Er erweitert die Gesetzgebungskompetenzen und vereinfacht das Gesetzgebungsverfahren. Der Bundeskanzler übernimmt die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte und die Bundesregierung kann z. B. die Bundespolizei im ganzen Bundesgebiet einsetzen. Der Gemeinsame Ausschuss (Art. 53 GG), der anstelle des handlungsunfähigen Bundestages zusammenkommen soll, hat nur im Verteidigungsfall Gesetzesbefugnis. Er besteht zu zwei Dritteln aus Abgeordneten des Bundestages und zu einem Drittel aus Vertretern des Bundesrates. Vor dem Eintritt des Verteidigungsfalls kann der Bundestag den Spannungsfall bestimmen. Die Bundeswehr kann im Verteidigungsfall und im Spannungsfall auch im Inneren eingesetzt werden, um Zivilisten zu schützen.

Der innere Notstand dient der Abwehr von Gefahren für den Bestand oder die freiheitlich demokratische Grundordnung. Die öffentliche Sicherheit ist in erster Linie Sache des betroffenen Landes, das dann z. B. auch Polizeikräfte anderer Länder anfordern kann. Eine innere Notstandslage kann auch die Freizügigkeit (Art. 11 GG) und das Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG) einschränken. Ähnliche Regelungen gelten auch für Katastrophenfälle.

Es ist u. a. vorgesehen, dass Bundestag und Landtage ihre Arbeit nicht aufgrund von Neuwahlen unterbrechen sollen. Es ist nicht gestattet, den Bundestag zu zerschlagen, und das Bundesverfassungsgericht muss weiterhin funktionsfähig sein. Die Verankerung des Widerstandsrechts wurde in das Grundgesetz aufgenommen. Gemäß Artikel 20 ist es jedem Bürger gestattet, sich gegen Bestrebungen zur Zerstörung der demokratischen Ordnung zu wehren. Überdies wurde das Recht zur Klage gegen die Verfassung in das Grundgesetz aufgenommen. Der Bundestag kann den Verteidigungsfall jederzeit beenden.

Damit kann ich leben. Der erste Entwurf aus dem Jahr 1958, der stark an den Vollmachten des Reichspräsidenten aus der Weimarer Verfassung ausgerichtet war, ist eine ganz andere Hausnummer.

Soweit der Exkurs.

Solange Demokratie und Rechtsstaat funktionieren, sollte man nach den Regeln spielen, sonst haben Staat und Gesellschaft jedes Recht, diese gegen einen zu verwenden. Die Klimakleber bewegen sich meiner Ansicht nach in einer Grauzone. Sie verletzten Gesetze mit dem Argument, ein überwältigend wichtiges Ziel zu verfolgen. Das Argument zieht aber nicht richtig, weil sie längst nicht alle legitimen Möglichkeiten (von denen es unverändert viele gibt) ausgeschöpft haben. Zweifelhaft ist auch der Anspruch, nur mit Hilfe drastischer Aktionen Aufmerksamkeit generieren zu können. Die Aufmerksamkeit ist längst bei zu vielen Menschen in Verärgerung umgeschlagen. Hurrikans, Tornados, Überschwemmungen und Dürren lenken längst viel effektiver die Aufmerksamkeit auf das Thema Klimaschutz. Die Klimakleber schaden der Sache mehr, als dass sie ihr nützen.

Am Ende aber bleibt der Zweifel …

Zweifellos aber falsch ist es, von Klimaterroristen zu faseln und zivilen Ungehorsam mit Kriminalität gleichzusetzen.

Vielleicht ist es doch besser, sich auf der Straße festzukleben, als die immer gleichen Argumente an irgendwie doch nicht so runden Tischen auszutauschen und nachher mit nicht weiter auseinanderzugehen, als der Gewissheit, Zeit verschwendet zu haben. Es fehlt nicht an Wissen, es fehlt an Mut und Einsatz.

Warum erreichen die Klimakleber so wenig und stoßen auf so viel Ablehnung? Ein wenig liegt es vielleicht auch daran, dass Menschen das Gefühl haben, sie werden für zu naiv gehalten, um sie überzeugt zu können und müssten stattdessen genötigt werden.

Diesen Eindruck erwecken manchmal auch die Grünen. Sie sind längst aus dem Alter herausgewachsen, in dem sie sich mit jugendlicher Naivität rechtfertigen können. Professionellen Politikern gleich welcher Couleur darf ich abverlangen, dass sie den Wähler ernst nehmen und mit ihm auf Augenhöhe ehrlich kommunizieren. Mit dem Ziel, ihn zu überzeugen, nicht zu drangsalieren. Darin zu versagen, heißt auch in der Sache zu scheitern. Und die ist viel zu wichtig, um ein Scheitern auch nur riskieren.

Auch angesichts des primären Ziels, eine lebenswerte Umwelt für unsere Enkel zu bewahren, dürfen sie die berechtigen Interessen und wachsenden Ängste, egal ob eingebildet oder real, ihres Wahlvolks nicht aus den Augen verlieren: das Bedürfnis nach Sicherheit, die Angst vor dem sozialen Abstieg, Furcht vor Überfremdung, Krieg, Krankheiten …

Sicherheit ist ein unverhandelbares Grundbedürfnis, diskutieren kann man nur den notwendigen Grad und deutliche machen, dass Sicherheit eben ihren Preis hat und mit anderen Anforderungen um die knappen Ressourcen konkurriert.

Gegen einen drohenden sozialen Abstieg kann man sich wappnen, persönlich wie auch von Staats wegen. Wie bereits weiter oben diskutiert, müssen wir zugeben, dass ein Verlust von Wohlstand / Besitzstand sogar unvermeidlich ist, wenn wir unsere Ziele erreichen wollen. Hier ist es eher die Aufgabe, für Gerechtigkeit zu sorgen und nicht die eine gesellschaftliche Gruppe gegen die andere auszuspielen, zu bevorzugen oder zu benachteiligen. Dazu gehört Mut. Wenn es die eigene Klientel ist, wohlhabende Akademiker oder überpriviligierte Beamte, sicher eine Menge Mut. Politiker, die wie die Klimakleber an der Straße an ihrem Amt hängen, sind hier überfordert.

Für mich steht fest: Wir benötigen geordnete Migration, Deutschland ist ein Einwanderungsland. Damit wir das aber weiterhin und dauerhaft sein können, müssen wir die Migration steuern und Missbrauch des Asylrechts verhindern. Dazu gilt es alle sinnvollen Vorschläge (damit ist der unsinnige Vorstoß für eine Obergrenze raus) zu prüfen. Dazu gehören: die Ausweitung der Liste sicherer Drittländer, konsequente Abschiebung von Asylsuchenden, die keine Bleibeperspektive haben, Sachleistungen statt Geld, mehr Sammelunterkünfte für abgelehnte Asylsuchende. Dazu gehört aber auch, im Kampf gegen Armut und Unterdrückung und andere Fluchtursachen nicht nachzulassen und den Menschen dabei zu helfen, die Bedingungen in ihrer Heimat zu verbessern, damit sie gar keinen Grund haben, ihr den Rücken zuzukehren. Dazu gehört schließlich außerdem, Einwanderungsmöglichkeiten zu schaffen und Asylanträge schnell und nachvollziehbar zu entscheiden.

„Si vis pacem para bellum“

Lateinisches Sprichwort. Wörtlich übersetzt heißt das: „Wenn du (den) Frieden willst, bereite (den) Krieg vor.“

Lange haben wir uns in Sicherheit gewogen und geglaubt, dass Krieg in Europa überwunden ist. Mit dem Zeitalter der Diktatoren aber ist auch in der Alten Welt ein Zeitalter der Gewalt angebrochen. Putin Einmarsch in die Ukraine hat uns unserer Verletzlichkeit vor Augen geführt. Zum Schutz unseres Lebens und unserer Freiheit, aber auch, um unsere politische Handlungsfähigkeit zu erhalten, muss dieses Land einen Beitrag zum westlichen Verteidigungsbündnis leisten, der unserer wirtschaftlichen Leistungskraft entspricht. Und darf sich nicht auf Gedeih und Verderb der Gnade der Weltmacht USA ausliefern. Besonders nicht in diesen Zeiten, in denen bereits vielleicht bald ein Kapitän auf der Brücke steht, der – vorsichtig formuliert – seinen Kurs nach Lust und Laune steht. Annalena Baerbock und Robert Habeck haben die Zeichen der Zeit erkannt und – obwohl es ihrer grünen Seele sicher nicht gefallen hat – und nicht gezögert, der Ukraine die notwendige militärische Unterstützung zukommen zu lassen. Jetzt ist die rot-grün-gelbe Bundesregierung dabei, die Versäumnisse der Merkel-Jahre aufzuarbeiten und die Bundeswehr in der Status zu versetzen, unseren Bündnisverpflichtungen nachzukommen.

Das alles darf man nicht aus den Augen verlieren, während man den Kampf gegen den Klimawandel führt. Das eine oder andere Problem oder Bedürfnis darf sogar in den Vordergrund rücken und vorrangig abarbeiten, weil es eben nicht warten kann. Und obwohl es Ressourcen bindet.

Weil eine zerstrittene Gesellschaft, die von Populisten und Demokratiegegnern angeführt wird, diesen Kampf womöglich nicht mehr führen will, ihn aber sicher nicht mehr gewinnen kann.

„Nach uns die Sintflut“ – das hatten wir schon mal, das wollen wir nicht mehr.

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