„Boomer“-Bösewichte in der Rentenfalle

Die Rentendiskussion dreht sich hauptsächlich um die Sicherung der zukünftigen Renten, angesichts der Tatsache, dass immer weniger Beitragszahler immer mehr Rentner finanzieren müssen, während gleichzeitig die Lebenserwartung steigt – und damit auch die Bezugsdauer der Rente.  Wie kann es gelingen, das Rentenniveau stabil zu halten und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die Beiträge bezahlbar bleiben? 

Die Situation verschärft wird durch den Renten-Eintritt der „Boomer. Ihr Abgang hinterlässt einerseits schmerzhafte Lücken auf dem Arbeitsmarkt“ und verschärft den Fachkräftemangel, strapaziert andererseits die Rentenkassen.

Die „Boomer“ (umgangssprachliche Bezeichnung für die Babyboomer-Generation, die geburtenstarken Jahrgänge zwischen etwa 1946 und 1964) können natürlich nichts dafür, dass sie „Boomer“ sind. Tatsächlich müsste man der Generation ihrer Eltern (die „Stille Generation“ der Geburtsjahrgänge 1928 bis 1945) den Vorwurf machen, dass diese so fleißig nicht nur das Bruttosozialprodukt (oder auch Bruttoinlandsprodukt, die Summe aller Güter und Dienstleistungen der Angehörigen eines Staates, die diese innerhalb eines Jahres im In- oder Ausland erwirtschaftet haben, kurz BIP) gemehrt, sondern auch für Nachwuchs gesorgt hat.

Das ist nicht unbemerkt passiert: Die „Boomer“ sind erwachsen geworden, sind zur Schule gegangen, haben vielleicht studiert oder eine Lehre absolviert, einen Beruf ergriffen und den Wohlstand der Republik erhalten und gesteigert. Sie haben den Kalten Krieg über- und die deutsche Einheit erlebt, das System als Ganzes mitgetragen und auch noch weitere Sozialleistungen ermöglicht.

Jetzt müssen wir – ja, ich gehöre dazu – uns vorwerfen lassen, wir hätten zu wenig Kinder bekommen. Wirtschaftsweise Monika Schnitzer, Vorsitzende des Sachverständigenrats und selbst auch „Vorzeige-Boomerin“, meint, die Vertreter dieser Generation seien es, „die einen Teil des Generationenvertrags nicht eingehalten haben. Sie haben zu wenige Kinder bekommen, die für ihre eigenen Renten hätten aufkommen können“, sagt Schnitzer. Ratzfatz wird daraus eine Schuld abgeleitet, die es dem Staat erlauben soll, den bösen Buben, sorry, den bösen „Boomern“ in die Tasche zu greifen. Nach dem Ost-Soli, den mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung immer noch einige Menschen zahlen, soll also der „Boomer-Soli“ kommen: eine Solidaritätssonderabgabe auf sämtliche Alterseinkünfte, umverteilt ausschließlich innerhalb der älteren Generation.

Nach dem Willen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung sollen nicht nur gesetzliche Renten herangezogen werden, „sondern auch private und betriebliche Renten sowie sonstige Versorgungsbezüge, außerdem Pensionen von Beamt*innen und gegebenenfalls Vermögenseinkommen“ (DIW-Pressemitteilung Pressemitteilung vom 16. Juli 2025). Zusätzlich zu der umstrittenen Besteuerung der Renten, der Sozialabgabenpflicht auf Renten und Einmalzahlungen aus Kapitallebensversicherungen, insbesondere im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge, und der steuerlichen Belastung von Kapitalerträgen soll den Rentnern also noch ein sogenannter Solidaritätsbeitrag abgeknöpft werden. Damit die ihre Klappe halten, wird die Schuldkeule geschwungen.

Sind die Schuldzuweisungen berechtigt, oder drischt man mit dem moralischen Hammer auf den Falschen ein? Tatsache ist, dass die Geburtenrate in den 70er-Jahren gefallen ist. Dahinter egoistisches Verhalten einer ganzen Generation zu vermuten, ist dagegen böswillig.

Damals änderten sich die gesellschaftlichen Realitäten. Der Siegeszug der Anti-Baby-Pille begann. Billiger Wohnraum für Familien wurde knapper und die Baukosten stiegen. Für Frauen taten sich, was längst überfällig war, neue Bildungs- und Berufschancen auf. Letzteres wurde, zu Recht, von der Gesellschaft gefeiert. Mit der Familienfreundlichkeit der Industriebetriebe und Büros war es aber nicht weit her, Plätze für die Ganztagsbetreuung fehlten, sodass Frauen, die dem neuen Ideal der berufstätigen Partnerin gerecht werden wollten, ihren Kinderwunsch hintanstellten.

Wenn Deutschland einen Schuldigen an der Rentenmisere sucht, wird man mit Blick auf Politik und (vielleicht auch) die Wirtschaftsinstitute fündig.                 Die Geburtenzahlen sind hinlänglich bekannt, die Konsequenzen für ein umlagebasiertes Rentensystem waren schon vor Jahrzehnten absehbar. Die notwendige und damals auch noch ohne schmerzhafte Einschnitte machbare Rentenreform wurde nicht angepackt. Stattdessen: halbherzige und ungeschickte Flickversuche wie die Einführung der freiwilligen „Riester-Rente“. Wir erinnern uns: Vater Staat förderte die „Riester-Rente“, eine Form der privaten Altersvorsorge in Deutschland, durch Zulagen und Steuervorteile, um eine zusätzliche Rente im Alter zu ermöglichen. Sparer zahlen einen Eigenanteil, und der Staat ergänzt diesen mit Zulagen und ermöglicht möglicherweise Steuervorteile. Niedrige Renditen, unflexible Verträge und hohe Abschluss- und Verwaltungskosten machten das „Riestern“ für viele unattraktiv. Mancher Geringverdienerhaushalt konnte oder wollte den Eigenanteil nicht aufbringen. Die private Säule blieb wackelig und wenig tragfähig.

Dabei muss man noch nicht einmal eigene Ideen haben. Der Blick geht nach Norwegen. Das Rentensystem dort:

  • eine einkommensabhängige Rente
  • eine garantierte Mindestrente (Grundrente)
  • eine verpflichtende betriebliche Altersvorsorge, in die Arbeitgeber einzahlen
  • eine freiwillige private Vorsorge

Die gesetzliche Rente stabilisiert der 2006 gegründete Staatliche Pensionsfonds, der aus dem 1967 eingesetzten Staatlichen Pensionsfonds Norwegen (SPN) und dem 1990 aufgelegten Staatlichen Pensionsfonds Ausland (SPU) besteht, die separat verwaltet werden. Der Fonds erwirtschaftet bei niedrigen Kosten eine hohe Rendite und hilft mit seinen Einnahmen, Sozialversicherungsbeiträge und Mindestrente zu finanzieren. Das Rentenniveau in Norwegen ist höher als in Deutschland. Das deutsche Rentenniveau liegt im internationalen Vergleich eher im Mittelfeld.

Aber dafür mischen wir ja bei Steuern und Abgaben weiter vorn mit. Und flickschustern munter weiter.

Aber natürlich sind wir selbst schuld. Wir haben schließlich die Politiker gewählt, die zwar die nächste Wahl im Blick haben, nicht aber auf lange Sicht das Wohl des Volkes. Die lieber vollmundige Versprechen machen (die sie, siehe unseren amtierenden Bundeskanzler Merz, nach der Wahl wieder ungestraft einholen), als unpopuläre Entscheidungen zu treffen, von denen vielleicht erst die nächste oder übernächste Generation profitiert.

Nicht, dass ich missverstanden werde: Ich bin bereit, Abstriche zu machen, zurückzustecken, wenn es notwendig ist. Aber ich möchte nicht für dumm verkauft werden. Der „Boomer-Soli“ ist nicht Teil eines Rentenkonzeptes, sondern einfach nur eine Unverschämtheit.

„Boomer“ ist inzwischen zum Schimpfwort mutiert – oder ist auf dem besten Weg dahin. Schuld daran, in diesem Beitrag geht es schließlich darum, großzügig eben diese zuzuweisen, sind neben Politikern und sogenannten „Experten“ auch Journalisten, die das Prinzip von Ursache und Wirkung nicht verstanden haben und „Baby-Boomer“ dafür verantwortlich machen, dass sie so viele sind. Dann aber dafür verteufeln, dass sie sich nicht hinreichend vermehrt haben, um ein überholtes Rentensystem zu stabilisieren. Manchmal nur durch einen Erscheinungstag getrennt. Oder durch einen Klick.

Die „Boomer“ gehen im Einklang mit geltendem Recht und nach 35/45 und manchmal mehr Jahren in den oft wohlverdienten Ruhestand. Viele haben es sich nicht ausgesucht, jeden Monat im Vertrauen auf das Umlagesystem einen schmerzhaft großen Teil ihres Einkommens in die Rentenkassen einzuzahlen, um am Ende mit einer schmalen Rente auskommen zu müssen. Diese ist erarbeitet, keine Sozialleistung wie das Bürgergeld. Der Spruch „Die Rente ist sicher“, Urheber war 1986 der damalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm, sollte die Sicherheit der gesetzlichen Rente in Deutschland betonen. Heute würde sich wohl kein Politiker mehr trauen, diese Überzeugung so apodiktisch zu formulieren.

Wir „Boomer“ trösten uns damit, dass in vier Jahren (hoffentlich) wieder gewählt wird. Und wir sind viele.

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