Zwischen Scheinriesen und Fake News

Regelmäßige Leser meiner Seite wissen, dass Medienkritik zu den inhaltlichen Schwerpunkten zählt. Die Notwendigkeit dafür bedauere ich. Zum einen, weil ich lange in der Medienbranche gearbeitet habe und nicht als Nestbeschmutzer gelten möchte. Zum anderen, weil in diesen Tagen, in denen Fake News auf allen Kanälen verbreitet werden und sich selbst gewählte Präsidenten nicht mehr der Wahrheit verpflichtet fühlen, der Arbeit von Journalisten eine besondere Bedeutung zukommt.

Einen kompakteren Beitrag ohne die Innensicht auf die Branche finden Sie hier. Die kursiv gestellten Textpassagen in dem vorliegenden Text sind Ergänzungen.

Die Presse ist zwar nicht die vierte Gewalt im Staat, neben Exekutive, Legislative und Judikative. Das wäre anmaßend. Aber sie ist ein wichtiges Regulativ. Nicht umsonst schützt das Grundgesetz die Freiheit der Presse gegen jegliche staatliche Einflussnahme.

Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
Artikel 5 (1) GG

Als in den 1990er-Jahren der Siegeszug des Internets begann, glaubten seine enthusiastischen Pioniere an eine Revolution. Wollte man zuvor eine große Gruppe Menschen erreichen, musste man einen Zeitungsverlag finden, diesen von Relevanz und Wahrheit der Nachricht überzeugen und hoffen, dass riesige Druckmaschinen sie zu Papier brachten und zahlreiche Boten die Druckerzeugnisse anschließend verteilten. Alternativ galt es, einen Radio- oder Fernsehsender aufzutun, den man vor den eigenen Karren spannen konnte. Eine schwierige Aufgabe, auch wenn das eigene Anliegen noch so gerecht war. Auf einer Kiste im Park stehend oder mit einer handbetriebenen Wurfzetteldruckerei im Keller konnte man nicht annähernd so viele Menschen erreichen wie mithilfe der etablierten Medien. Die riesigen Druckmaschinen und Heerscharen von Zeitungsboten, die Studios und Sender machten den Unterschied und zementierten lange die Torwächterfunktion von Intendanten und Verlegern. Das sorgte einerseits dafür, dass viele Fake News nur am Stammtisch verbreitet wurden und dem Rest der Welt erspart blieben. Andererseits aber auch dafür, dass manche Wahrheiten nicht oder zu spät ans Licht kamen, nur weil ihre Vermittler nicht überzeugend genug waren und schon am Pförtner des Pressehauses scheiterten. Auf jeden Fall waren „in der Zeit davor“ (vor dem Siegeszug des World Wide Web) Fake News seltener. Und sorgten ihrerseits für Schlagzeilen, die Veröffentlichung der angeblichen Hitler-Tagebücher, die das Nachrichtenmagazin Stern 1983 veröffentlichte, mag als Beispiel dienen.

Das Internet, oder genauer das World Wide Web, veränderte alles. Es braucht kaum mehr als ein Endgerät und einen Zugang zum Netz, um Dokumente weltweit zugänglich zu machen. Mittels Hypertext Markup Language (HTML) wurde es gleichsam zum Kinderspiel, Informationen zu präsentieren, mit Bildern, Grafiken und (später) Videos zu illustrieren und Dokumente zu vernetzen. Ihnen stößt sauer auf, dass Politiker X sich mit blankem Unsinn in der Zeitung zitieren lässt oder von Talkshow zu Talkshow tingelt? Ihr Leserbrief ist in der zuständigen Redaktion in Ablage „P“ gewandert? Formulieren sie ihre Kritik, verlinken sie wissenschaftliche Abhandlungen und passende Artikel aus den Medien, die ihre These stützen, und stellen sie das Ergebnis ins Internet. Mobilisieren sie Unterstützer, die den Beitrag teilen, und hoffen darauf, dass sie mit ihrem Anliegen den Nerv vieler anderer treffen und er viral geht. Soweit die Theorie.

In der Tat war es eine Revolution, die enorme Chancen bot. Leider dauerte es nicht lange, bis Katzenvideos das Netz fluteten und es immer schwieriger wurde, Interesse für ernsthafte Themen zu generieren. Jeder mag die niedlichen Vierbeiner und schaut ihnen gerne bei ihren Kapriolen zu. Als ich in Vor-Internet-Zeiten im Fido-Netz aktiv war, traf man fast ausschließlich auf technikbegeisterte Nerds, Idealisten oder Aktivisten, eine Mischung, die auch den Chaos-Computer-Club auf den Plan rief. Natürlich wollten die auch spielen, aber eben nicht nur. Sie waren (Mit-)Macher und nicht nur denkfaule Konsumenten.

Klassische Medien entdeckten das Netz für sich und hofften, ihre Angebote interaktiver zu machen. Aber schon bald kamen die Trolle, pöbelten und beleidigten und sorgten dafür, dass die ersten Medien ihre Kommentarfunktionen einschränkten.

Gruppierungen links und rechts des demokratischen Spektrums, religiöse Fanatiker und anderweitig verblendete Menschen mischten mit und verbreiteten ihre Irrungen und Lügen. Ein amerikanischer Präsident tat sich besonders hervor und machte „alternative Fakten“ hoffähig. In dieser Situation hätte es Medienhäuser gebraucht, die sich dem entgegenstemmen und den Menschen helfen, die die Instrumente des Internets nicht souverän genug beherrschen, um mit ihnen durch einen Wust aus Falschinformationen zur Wahrheit zu navigieren. Die sogenannten sozialen Medien, Facebook, Instagram, Pinterest, X und TikTok, um einige zu nennen, werden von amerikanischen (oder im Fall TikTok chinesischen) Konzernen beherrscht. Deren Algorithmen sorgen dafür, dass wir in unseren Ansichten bestärkt werden, egal, wie abseitig und falsch diese sind, um uns länger bei der Stange zu halten. Den ebenso traurigen wie entlarvenden Tiefpunkt erleben wir gerade: Multimilliardär Elon Musk kauft sich seine eigene Fake-News-Schleuder. Unter dem Mäntelchen der Meinungsfreiheit hat er Twitter so umgebaut (und in X umbenannt), dass der Dienst von einem ernsthaften Kanal für Nachrichten und Debatten zu einem Transportvehikel für seine rechtspopulistischen Ideen wurde. Der Ton auf X ist toxisch.

Der 53-jährige Musk hat ein Vermögen von fast einer halben Billion Dollar (Stand Ende 2024) zusammengerafft. Der (laut Wikipedia) südafrikanisch-kanadisch-US-amerikanische Milliardär und wohlhabendste Mann der Welt führt unter anderem das Raumfahrtunternehmen SpaceX und ist Leiter und Mitinhaber des Elektroautoherstellers Tesla. Das hat mir früher Bewunderung abgenötigt. Als er in einer Folge der Sitcom „Big Bang Theory“ gemeinsam mit Howard Wolowitz in einer Suppenküche Geschirr spülte, war ich hin und weg. Dumm ist er nicht, neben dem Geldscheffeln hatte er noch Zeit, einen Bachelor-Abschluss in Wirtschaftswissenschaften und Physik zu machen. Inzwischen löst Musk bei mir nur noch Entsetzen aus. Von X habe ich mich abgemeldet. Ich bedauere nur, dass ich keinen Tesla habe, von dem ich mich trennen kann. Seit einigen Jahren vertritt Musk nämlich libertäre Ansichten und vorwiegend politisch-rechte Standpunkte. Kritiker werfen ihm antisemitische, transphobe und wissenschaftlich unhaltbare Äußerungen auf X vor.

Statt die Chance zu nutzen, sich als Anlaufstelle für Menschen zu profilieren, die verlässliche Informationen suchen, jammern Verleger ihren zweistelligen Renditen nach. Viel zu spät haben die Medienschaffenden sich mit Digitalstrategien auseinandergesetzt. Auf wegbrechende Anzeigenerlöse und dahinsiechende Abonnentenzahlen reagierten sie mit Sparmaßnahmen und Preiserhöhungen. Besonders hart trifft es ländliche und strukturschwache Gebiete. Gerade dort aber ist die Zeitung oft das einzige Kontrollgremium, das politischen oder wirtschaftlichen Entscheidern auf die Finger schaut. In den USA gibt es bereits heute ausgedehnte Gebiete, wo örtliche Potentaten schalten und walten, wie es ihnen gefällt. Aber auch bei uns in Deutschland beginnt es. Lokalredaktionen werden geschlossen, das Personal der verbleibenden reduziert. Ausgaben werden zusammengelegt oder ganz eingestellt. Zeitungen verschwinden oder werden zu Zombieblättern, die nichts mehr zur Meinungsvielfalt beitragen, produziert von der ehemaligen Konkurrenz.

Die Verteilung der gedruckten Zeitung ist in ländlichen Regionen kaum noch zu bezahlen, zusätzlich fehlen Boten. Die Politik finanziert lieber die öffentlich-rechtlichen Medienanstalten mit ihrem bürokratischen Wasserkopf, die Millionen in Fußballrechten versenken und Gottschalk und Co. mit üppigen Honoraren den Lebensabend versüßen. Wenn über die Beitragsmilliarden diskutiert wird, habe ich den Eindruck, als hätten die Politiker gar nicht mitbekommen, dass es inzwischen private Fernsehanbieter und das Internet gibt. Es gibt neun Landesrundfunkanstalten der ARD (Bayerischer Rundfunk, Hessischer Rundfunk, Mitteldeutscher Rundfunk, Norddeutscher Rundfunk, Radio Bremen, Rundfunk Berlin-Brandenburg, Saarländischer Rundfunk, Südwestrundfunk, Westdeutscher Rundfunk), das Zweiten Deutschen Fernsehen, das Deutschlandradio mit Deutschlandradio Kultur und Deutschlandfunk sowie Gemeinschaftsprogramme und Spartenkanäle, zu denen auch 3sat, Arte, der Kinderkanal, Phoenix und digitale Programmangebote von ARD und ZDF zählen. Die Landesrundfunkanstalten haben üppig ausgestattete Verwaltungen, die Intendanten bekommen Gehälter im mittleren sechsstelligen Bereich. Mit einem Jahresgehalt von mehr als 400.000 Euro führt Tom Buhrow die Gehaltsliste der Rundfunk-Intendanten in der ARD an. Die Verfassung fordert ein umfassendes und unabhängiges Programmangebot, das auch die Interessen von Minderheiten abdeckt. Die Ausgestaltung der sogenannten „Grundversorgung“ aber ist möglich. Und ich wage zu bezweifeln, dass das Privatfernsehen „Rote Rosen“ und „WaPo Bodensee“ nicht auch hinbekommen würde. Ach ja, und jemanden, der weiblichen Gästen bei großen Shows ans Knie fasst, wird sich auch noch finden.

Sparen wir von den zehn Milliarden Euro Jahresetat doch zwei Milliarden ein und stützen lieber den Vertrieb von Zeitungen in ländlichen Regionen. Mit der (richtigen!) Erhöhung des Mindestlohns hat die Politik im Übrigen auch ihren Teil zur Erosion des Vertriebsmodells der gedruckten Zeitung beigetragen. Natürlich kombiniert mit einer Verpflichtung der Verlage, sich nicht aus dem „flachen Land“ zurückzuziehen.

Nach diesem Exkurs in die Welt der gedruckten Zeitungen und ihrer Probleme kommen wir zum eigentlichen Thema. Denn schließlich müssen Nachrichten nicht gedruckt werden. Leider ist es in Deutschland schwer, Print-Abos (Abonnements der gedruckten Zeitung) in Digital-Abos zu konvertieren. Oft wechseln Leser ins Lager der Nicht-Leser, wenn Verlage den Vertrieb der gedruckten Zeitung in Teilen ihres Verbreitungsgebiets nicht mehr leisten können oder wollen und ihren Abonnenten Digital-Abos unterjubeln. Das ist schlecht, auch für die ehemaligen Leser.

Wer glaubt, alles, was er wissen muss, um am sozialen und politischen Leben teilzuhaben, findet er auch auf Facebook & Co. und auf den Webportalen der Vereine, Firmen, Verbände und Kommunen, irrt. Oder er oder sie unterschätzt den zeitlichen und intellektuellen Aufwand, die Spreu vom Weizen, Informationen von Fake News und Werbung zu trennen. Wäre es anders, wären die Nachrichtenzeitungen der Zeitungen tatsächlich überflüssig – und damit auch das teure Abo. Was in der Verwaltung schiefgeht oder wo es dort mangelt, warum es die Klassenzimmer der Schulen regnet, warum die Bahn für eine Brückensanierung ähnlich lange benötigt, wie China für den Bau eines neuen Flughafens, wie lange die Umgehungsstraße gesperrt ist, warum ein Ratsherr hingeworfen hat – das recherchiert ihre Lokalredaktion, und nur die. Das Fernsehen lässt sich oft erst (wenn überhaupt) blicken, wenn der Wagen schon ganz tief im Dreck steckt. Im überregionalen Teil des Nachrichtenangebots sind die Themen anders: Hat die FDP aus Eigennutz die Ampel sabotiert oder war das Aus vielleicht überfällig und es ist Lindners Verdienst, dass der Schrecken endlich ein Ende hat? Ist Sahra Wagenknecht Putins bestangezogene Botschafterin in Deutschland oder aufrichtig um den Frieden in der Ukraine bemüht? Wer mitreden will, benötigt zuverlässige Informationen. Vorzugsweise aus unterschiedlichen Quellen. Das ist nicht optional, denn eine Demokratie lebt von der Mitwirkung engagierter und informierter Wähler (sie auch den Beitrag „Der Demokrat“)

Wenden wir uns wieder den regionalen und lokalen Themen zu. Mit den öffentlich-rechtlichen und privaten TV-Angeboten und Qualitätsmedien wie „Die Zeit“, „FAZ“, „Süddeutsche Zeitung“, „Der Spiegel“, „taz“ usw. sieht es bisher nicht so düster aus. Bei den Lokalzeitungen aber ist es fünf vor zwölf. Natürlich ist der Auflagenschwund ein wichtiger Grund. Andere aber sind hausgemacht.

Die Verleger beklagen oft die Kostenlos-Kultur im Internet, wie schwierig es ist, Leser dazu zu bewegen, Geld für Nachrichten zu bezahlen. Dabei haben sie es selbst verbockt: In den Anfangstagen der Nachrichtenseiten haben sie viele Informationen kostenlos bereitgestellt, in der irrigen Überzeugung, dass Reichweite (also viele Nutzer, die das Angebot ansurfen) alles ist und sich mittels Werbung in klingender Münze auszahlen wird. Tut sie aber nicht, jedenfalls nicht ausreichend, um die Einbußen im Printgeschäft zu kompensieren. Der Werbekuchen ist nicht so schnell gewachsen, wie die Anzahl der Kanäle (Zeitung, Magazine, zahllose Web-Sites, Apps, ePapers …), auf die er verteilt wird. Dazu kommen noch neue Spieler, die wesentlich agiler am Markt handeln und ganz andere Möglichkeiten haben wie Google sowie Facebook & Co., die ihren Teil vom Kuchen wollen und bekommen. Vielleicht mehr als ihnen zusteht, denn sie verbreiten nur Inhalte, die andere erzeugen.

Relevante Inhalte zu erstellen, Journalismus, ist nicht kostenlos. Ich bin mir sicher, weil er meine Familie und mich viele Jahre ernährt hat. Die Männer und Frauen in den Redaktionen können in der Regel auf eine akademische Ausbildung verweisen, sind also auch nicht billig. Obwohl die Lohnabschlüsse in den vergangenen Jahren so weit hinter denen anderer Branchen zurückblieben, dass die Tarifgehälter im Kampf um die besten Mitarbeiter in einem bundesweiten, akademischen Arbeitsmarkt auch nicht mehr wirklich attraktiv sind. Wenn ein Verlag überhaupt noch nach Tarif bezahlt … In der Boomphase der Nachrichtenportale (oder unter dem aktuellen Spardruck) haben zudem viele weniger qualifizierte Mitarbeiter ihren Weg in die Redaktionen gefunden, die zwar technisch versiert, aber eben nicht ausreichend journalistisch ausgebildet sind. Bei einem Produkt, das (fast) ausschließlich in Kopfarbeit hergestellt wird, schlägt die Qualität der Mitarbeiter unmittelbar auf die Qualität des Produkts durch.

Zudem gibt es immer weniger Mitarbeiter für immer mehr Aufgaben. Heute muss ein Redakteur nicht nur seine Texte recherchieren, sondern womöglich auch Fotos machen, die Seite der gedruckten Zeitung layouten, Textvarianten für die Zeitung, die Website, den Teaser sowie unterschiedliche Social-Media-Kanäle schreiben, ein Video bereit- und eine Fotostrecke online stellen. Die digitalen Kanäle wollen zudem 24 Stunden lang an sieben Tagen der Woche bespielt werden. Der Aktualitätsdruck ist für den Mitarbeiter also gewachsen, obwohl die gedruckte Zeitung eher weniger aktuell ist als noch vor einigen Jahren. Angesichts schwindender Werbeerlöse (auch Immobilien-, Auto- und Stellenmarkt sind stark ins Internet abgewandert) und jedes Jahr sinkender Abonnentenzahlen bei vielen Publikationen, stellt kaum ein Verlag zusätzliches Personal ein, um die Zusatzarbeit zu bewältigen. Wenn es gelingt, einen neuen Leser für das digitale Angebot zu gewinnen, ist es manchmal so, dass dieser die Kasse weniger klingeln lässt als ein Leser der gedruckten Zeitung.

Trotzdem suchen die meisten Medienhäuser ihr Heil im Digitalen. Nicht nur „Dickschiffe“ wie der Springer Verlag (u. a. „Bild“ und „Welt“). Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner bekräftigte 2023 in einer Pressemitteilung: „Unser Ziel ist ‚Digital Only‘.“ Zugleich betonte er, dass die vollständige Umstellung nicht kurzfristig erfolgen werde. „Print ist heute noch profitabel und für Leserinnen und Werbekunden unverzichtbar. Deshalb wird die komplette Umstellung auf Digital noch einige Jahre dauern. Wir müssen uns aber darauf vorbereiten und die Transformation aktiv in Angriff nehmen.“

Ähnlich scheinen auch einige Regionalverlage die Situation einzuschätzen. Also werden viele der knappen Ressourcen auf das Digitalgeschäft geworfen, was nicht folgenlos für das gedruckte Produkt bleibt. Ich mutmaße, dass dadurch der Auflagenrückgang noch beschleunigt wird. Wir – Leser wie Medienschaffende – befinden sich also in einer kritischen Zeit, zwischen Print-Only-Lesern und Digital-Only-Kunden. Ich wünsche den Verlagsmanagern das notwendige Fingerspitzengefühl, die einen nicht zu verprellen, bevor die anderen eine tragfähige Einkommensbasis liefern, um flächendeckenden Journalismus zu ermöglichen.

Die Währung im Netz sind Klicks, Besuche, Besucher und Page Impressions. Damit versucht man die Aufmerksamkeit zu messen, die ein Angebot im Netz erzeugt. Es sind harte Währungen, weil sie Einfluss auf die Erlöse haben, die man mit Werbung generiert. Zum Problem wird das erst durch bewussten Missbrauch, handwerklich unsaubere Arbeit von Journalisten und durch unseriöse Zeitgenossen, die unter dem Mäntelchen des Journalismus Internetnutzer auf Werbeseiten oder despektierliche Angebote locken. Wie machen Sie das? Einige Beispiele:

  • Fake News: Erfundene Nachrichten, die eine alternative Wirklichkeit spiegeln, die nur in den Köpfen ihrer fantasiebegabten Schöpfer existiert.
  • Clickbaiting: Reißerische Titel, die einen untergeordneten Aspekt der Nachricht betonen, die bewusst eine missverständliche Information aus dem Zusammenhang lösen oder schlicht vollkommen übertrieben sind. Gemeinsam haben diese Titel, dass sie alarmieren sollen und eine gewisse Dringlichkeit signalisieren. Sie beschwören eine Gefahr hervor, die so nicht existiert, oder sie setzen auf die Gier des Nutzers, der glaubt, ihm oder ihr entginge ein Vorteil, wenn er oder sie jetzt nicht weiterliest. Liest man den Text, schaut das Video oder die Bilder an, entpuppt sich die Drohung oder Ankündigung als Gespenst an der Wand. Oder als Scheinriese, gewaltig aus der Entfernung (Titel), unbedeutend, wenn man im Auge in Auge gegenübersteht (den Text liest). Nur dass er nicht so freundlich ist, wie der Scheinriese aus Michaels Endes Kinderbuch.
  • Kopieren 1: Eine bekannte Nachricht wird einfach kurz vor Ende einer Frist wiederholt und als neu dargestellt. Meist kombiniert mit Clickbaiting.
  • Kopieren 2: Unter dem allgegenwärtigen Druck, zumindest unter den Ersten zu sein, die eine Nachricht verbreiten, schreiben selbst halbwegs seriöse Medien gelegentlich voneinander ab, ohne die Quellen unabhängig zu prüfen. So verbreiten sich Falschnachrichten im Netz, und es kann eine Weile dauern, bis sie von den Tatsachen eingeholt werden. Das Dementi ist leider oft viel dezenter als die ursprüngliche Nachricht.

Die Gefahr, die in solchen Machenschaften lauert: Viele Nutzer lesen nur die gelogene oder übertriebene Überschrift, sie erfahren gar nicht erst, dass der Text nicht hält, was der Titel verspricht. Trotzdem teilen sie die vermeintlich spannende Information, oft ohne die Quelle zu nennen, und tragen so dazu bei, dass Fake News auf allen Kanälen unterwegs sind. Damit erhalten sie ein Gewicht, dass sie nicht verdient haben. Das erzeugt beim Nutzer Angst bis hin zur Panik. Oder aber das Gegenteil: Eine reale Gefahr wird unterschätzt und Rettungsmaßnahmen unterbleiben oder kommen zu spät.

Hier ist es an handwerklich gut ausgebildeten Journalisten, die auch die Zeit haben, eigene Recherchen anzustellen, auf den Nachrichtenseiten ihrer Häuser und in ihren Publikationen, überprüfte und überprüfbare (Quellen) Informationen anzubieten und die Flut der Falschnachrichten einzudämmen.

Journalisten müssen der Versuchung widerstehen, auf jeden Zug aufzuspringen, auch wenn der noch so sehr tutet, wenn sie nicht wissen, wohin die Fahrt geht und wer den Fahrplan gemacht hat. Lieber einmal nicht dabei sein, als mit Volldampf in die Sackgasse fahren.

Sie dürfen keine Angst schüren, nur der Klicks wegen. Sie sollten keine Gefahr verschweigen, um Konflikte zu vermeiden.

Einige Probleme hat es schon bei gedruckten Zeitungen gegeben. Die Schlagzeilen der Bild-Zeitung waren und sind manchmal Beispiele für eine Art Clickbaiting, auch wenn es zuerst nur darum ging, den Kioskverkauf zu befeuern. Die Beteiligung der Nutzer an der Verbreitung von Nachrichten in den Social-Media-Kanälen und in den Messengern sowie das hohe Tempo im Netz haben das Problem aber verschärft.

Der Weg vom geduckten Produkt hin zum digitalen Angebot ist unumkehrbar, Print ist auf dem Weg, ein Nischenprodukt für eine Gruppe zu werden, die dafür extra bezahlen kann und will.

Aber: Ohne Journalismus auf allen Ebenen der Gesellschaft und des Staates ist unsere Freiheit in Gefahr. Es lohnt sich, dafür zu kämpfen und zu zahlen. Nicht umsonst gehört es zu den ersten Schritten jedes angehenden Diktators oder religiösen Führers, die Medien unter Kontrolle zu bekommen. Dann können wir bald Fake nicht mehr von echten News unterscheiden und müssen es uns mangels Alternative in der Filterblase in den sozialen Medien gemütlich machen. In der Hoffnung, dass nicht eine spätere Generation mit dem Finger auf uns zeigt und fragt, wieso wir es so weit haben kommen lassen. Wenn dann noch jemand da ist, der sich traut zu fragen.

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